Gewalt und ihre Folgen für die Psyche
Jede*r reagiert auf Gewalt auf seine bzw. ihre eigene Art. Doch eines passiert so gut wie immer: Betroffene verhalten sich anders als sonst. Sie erleben ihre Umwelt anders als vor der Tat. Sie brauchen Zeit, um das Erlebte zu verarbeiten. Und sehr oft brauchen sie auch Unterstützung dabei, die Geschehnisse und deren Auswirkungen einzuordnen.
Die Expert*innen am Opfer-Notruf 0800 112 112 wissen hier Rat, und zwar sowohl für Betroffene als auch für deren Angehörige und Freund*innen.
Worum es geht
Während die körperlichen Verletzungen von Verbrechensopfern schon immer beachtet und behandelt wurden, ist das Wissen um traumatische Erfahrungen und deren Wirkung auf die Opfer leider nicht so verbreitet. Bereits vor mehr als 200 Jahren tauchten in der medizinischen Literatur vereinzelt Berichte über die psychischen Beschwerden von Menschen auf, die Kriegsereignissen, Katastrophen oder Gewaltverbrechen ausgesetzt waren. Aber erst 1980 wurden einheitliche Kriterien aufgestellt, um die Auswirkungen eines psychischen Traumas zu kategorisieren. Erst damit wurden die damit verbundenen Symptome und Leidenszustände der Opfer als behandlungswürdige Störungen anerkannt.
Ein (psychisches) Trauma wird nach der Weltgesundheitsorganisation hervorgerufen durch „ein belastendes Erlebnis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes (kurz- oder langfristig), die bei fast jedem eine Verstörung hervorrufen würde“.
Zwischen der intensiven Bedrohung und den subjektiven Bewältigungsmöglichkeiten besteht eine erhebliche Diskrepanz, die mit dem Gefühl von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht und zu einer dauerhaften Erschütterung des Selbst- und Weltverständnisses führt.
Phasen des psychischen Traumas
Das traumatische Ereignis löst zunächst eine Schockreaktion aus, die sich in Aufgeregtheit, Verwirrtheit, Traurigkeit, Unfähigkeit sich an wichtige Daten zu erinnern, Wut oder Betäubtsein äußern und von einer Stunde bis mehrere Tage dauern kann
Darauf folgt die Einwirkphase des Traumas, die zwei bis vier Wochen anhalten kann. Jetzt ist die stärkste Erregung zwar abgeklungen, die Betroffenen sind jedoch von dem Ereignis innerlich völlig in Anspruch genommen. Starke Selbstzweifel treten auf, häufig auch Hoffnungslosigkeit, Depressionen, Gefühle der Ohnmacht und einer überschatteten Zukunft. Manche haben Schuldgefühle wegen vermeintlicher eigener Fehler, es kann aber auch zu Wutanfällen und heftigen Anschuldigungen gegen mögliche Verursacher kommen.
In dieser Phase treten auch die Kernsymptome der Belastungsstörung auf:
- Wiedererleben: Das Ereignis wird im Wachen oder Schlafen auf belastende Weise wiedererlebt. Das Wiedererleben reicht dabei von sich aufdrängenden belastenden Gedanken, Bildern, Gefühlen bis zur Unfähigkeit, zwischen traumatischer Erinnerung und Realität zu unterscheiden.Starke Reaktionen bei Hinweisreizen, die an das Trauma erinnern und wiederkehrende, belastende Träume von dem Ereignis treten auf.
- Vermeidung: Das zweite Kernsymptom beinhaltet Vermeiden von Gedanken, Gefühlen, Aktivitäten, Orten oder Menschen, die Erinnerungen an das Trauma wach rufen. Es zeigt sich die Unfähigkeit, wichtige Aspekte des Traumas zu erinnern, es kann zu vermindertem Interesse an wichtigen Aktivitäten und zu abgestumpftem Gefühlsleben kommen.
- Erhöhte Erregbarkeit: Das dritte Kernsymptom – das erhöhte Erregungsniveau – umfasst die Schwierigkeiten ein- und durchzuschlafen, erhöhte Reizbarkeit oder Wutausbrüche, Konzentrationsschwierigkeiten, übermäßige Wachsamkeit und Schreckhaftigkeit.
In der anschließenden Erholungsphase beginnen sich einige Betroffenen vom Trauma zu erholen. Noch immer ist das traumatische Ereignis von zentraler Bedeutung und es kann lange dauern, bis es verarbeitet ist, also in die Sicht der Welt und in das Verständnis der eigenen Person einbezogen ist.
Bestehen wesentliche Symptome über vier Wochen hinaus fort – bleibt also die Erholungsphase aus – spricht man von einer Posttraumatischen Belastungsstörung oder von einem Psychotraumatischen Belastungssyndrom (PTBS).
Gewaltverbrechen erschüttern das Grundvertrauen in andere Menschen
Bei Opfern von Gewaltverbrechen zeigt sich eine Besonderheit. Die oben beschriebenen Symptome der PTBS sind vorhanden. Da es sich um ein von Menschen absichtlich verursachtes Ereignis handelt, werden darüber hinaus das Verhältnis zu anderen Menschen und das ganze Sozialleben beeinträchtigt. Es kann zu Rückzugsverhalten, Minderung der Kontaktfähigkeit und sozialer Isolation kommen.
Daraus ergibt sich ein charakteristisches Vermeidungsverhalten, da nun zahlreiche soziale Situationen als bedrohlich erlebt werden. Es kann zu anhaltender und generalisierender Angst sowie zu psychosomatischen Beschwerden kommen.
Weitere langfristige Auswirkungen können – abhängig von den unterschiedlichen Ereignissen – in anhaltendem Misstrauen, Lähmung jeglicher Initiative, dem Gefühl der Beschmutzung und Stigmatisierung, in Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung und Suizidgedanken bestehen.
Betroffene fassen ihr Befinden oft so zusammen: „Nichts ist mehr so, wie es vorher war“.
So wirkt Gewalt auf die Psyche
Das Bundeskriminalamt und die Verbrechensopferhilfe WEISSER RING produzierten im Jahr 2019 gemeinsam das folgende Erklärvideo über die Auswirkungen von Gewalt auf die menschliche Psyche.